Jedes Mal, wenn ich nach Belarus fahre, um Freunde und Kollegen zu treffen, wird mir die ganze Tragik der Berichterstattung über dieses Land erneut vor Augen geführt. Diese lässt sich, unbeeindruckt von der Ukraine-Krise, der jüngsten Freilassung aller (!) politischen Gefangenen und einer im Detail durchaus differenzierten Entwicklung, mit den Worten zusammenfassen „Im Osten nichts Neues“. Dies entspricht in der Tat dem nach außen sichtbaren Bild, und was die Museen betrifft, sagte mir die Kuratorin Olga Rybchinskaja, dass sich seit Jahren eigentlich nichts tut, es geht nicht vor und nicht zurück. Jeder macht, so gut es geht, „sein Ding“, realisiert Projekte, treibt Geld auf und nutzt den vorhandenen Freiraum für sich.
Was pragmatisch klingt und angesichts der stagnierenden politischen Situation auch ist, bildet die Realität aber nur zu einem Teil ab und darüber wird bei uns so gut wie nie berichtet. Die Menschen sind voller Energie, entwickeln immer neue Ideen und Initiativen, setzten unermüdlich neu an und bewahren neben Geduld und Pragmatismus nicht zuletzt Spaß an ihrer Arbeit und Lebensfreude.
Ich kann das freilich nur für den Museumsbereich beurteilen, dort gib es allerdings viele Beispiele. Allen voran das Nationale Historische Museum. Hier ist die Lage weiterhin desolat, etwas substantiell Neues gibt es nicht zu berichten: Das Gebäude in der Karl-Marx-Straße ist zu klein, in schlechtem Zustand, eine zusammenhängende Dauerausstellung fehlt, die Sonderausstellungen leiden häufig an Professionalität. Im letzten Jahr kam es noch schlimmer: Die Sammlungen, größtenteils untergebracht im alten Gebäude des Museums der Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges (GVK) gelagert, das für den Abriss bestimmt war, mussten umziehen und befinden sich seitdem an fünf Standorten in der Stadt, deren Bedingungen man erst gar nicht näher beleuchten möchte. Nun ist der Geduldsfaden gerissen, die Leitung hat sich, sozusagen, als letztes Aufgebot, an die Regierung gewandt, diesen Zustand zu beenden. Die Presse hat ausführlich über den Verfall des nationalen Kulturerbes berichtet (Культура 35 (1213), 29.8.2015) und man wünscht sich, dass die Öffentlichkeit aufgerüttelt wird. Nachdem sich schon der Umzug in ein neues Gebäude vor einigen Jahren erledigt hat, weil man dort nach Jahren der Neukonzeption des Museums doch lieber eine Sicherheitsbehörde untergebracht hat, träumen die Kollegen nun von einem Neubau an der Stelle, wo das alte Gebäude des Museums GVK in der Zwischenzeit abgerissen wurde. Vermutlich wird das leider ein Traum bleiben.
Eher ein Albtraum war dagegen wohl der Umzug des Museums GVK. Nachdem der Direktor, Vitalij Skobeljov, die Herkulesaufgabe der Neueröffnung 9. Mai 2014 kurzfristig von dem kurzerhand gefeuerten Sergej Azaronok übernommen hatte, ist ihm nun offenbar klar geworden, dass es mit der Eröffnung nicht getan ist und die eigentlichen Probleme der Bauabnahme, der Anpassung der unter Druck eröffneten Ausstellung und vor allem der Aufrechterhaltung des öffentlichen Interesses jenseits der Jahrestage jetzt erst anstehen. Das will er sich, wer will es ihm verdenken, nicht antun und hat gekündigt. Wer ihm nachfolgt, ist noch offen. Der alte Direktor zieht seine Fäden.
Eine Konstante, um nicht zu sagen: Fossil des Museumsbetriebs ist derweil der Direktor des Nationalen Kunstmuseums Vladimir Prokopcov, der ungeachtet aller Herausforderungen mit bewundernswerter Konsequenz seine Idee des Museumsquartals rund um das zentrale Gebäude seines Hauses verfolgt. Offenbar geht es gut voran, geplant sind weitere Ausstellungsflächen, ein zentraler Servicebereiche und ein nationales Restaurierungszentrum.
Eine bislang verschlagene Filiale des Kunstmuseums erwacht derweil unter seinem neuen Direktor zu seinem Leben, das Museum „Haus der Vankovichi“ . Dort herrscht seit kurzem Sergej Vecher, vormals Direktor des Nationalen Historischen Museums, wo das Kulturministerium ihn wegen des freilich von ihm nicht verursachten abgesagten Umzugs in das oben genannte Gebäude gefeuert hat. Nun hat er eine lange Liste neuer Ideen für das Herrenhaus aus 18./19. Jh. und will es zu einem zentralen Begegnungsort in Minsk machen.
Ein Treffpunkt für die junge Kunstszene ist schon seit längerem das Zentrum für zeitgenössische Kunst geworden, das nun zum 1. Oktober mit dem Museum für zeitgenössische Kunst zusammengeführt wird. Leiterin wird weiterhin Natalja Scharangovich sein, die Grande Dame der aktuellen Kunst- und Künstlerszene, die seit Jahren unermüdlich daran arbeitet, ihre Landsleute an Gegenwartskunst zu gewöhnen. Dazu gehört aktuell ein Skulpturenpark im „Park des Sieges“, der belarussische Pavillon auf der Biennale in Venedig und die Eröffnung einer großen Ausstellung „12 Strategien“ mit Arbeiten der zwölf renommiertesten belarussischen Gegenwartskünstler. Diese Ausstellung verdankt die Stadt Minsk einer Absage der Chinesen, wohin die Arbeiten eigentlich schon gereist sein sollten. Ob dieser Plan aufgehoben oder aufgeschoben ist, ist unbekannt. Ein Katalog auf belarussisch, englisch und chinesisch liegt vor, man steht in den Startlöchern. Auch in Polen ist belarussische zeitgenössische Kunst zu besichtigen, derzeit in einer Ausstellung in Bialystok.
Angesichts dieser Vielfalt ist es bedauerlich, dass ICOM Belarus kaum in Erscheinung tritt, was nicht zuletzt daran liegt, dass Museen nicht Mitglied werden dürfen und der Beitrag für Einzelpersonen oft zu hoch ist, aber auch an den unvermeidlichen Intrigen unter den Museumsdirektoren und anderen Kollegen.
Folglich hat nicht ICOM, sondern die Redaktion des Kulturmagazins Arche ein wunderbares Museumsheft herausgebracht, das einen durch das Prisma kritischer Autoren ein Schlaglicht auf die aktuelle Museumslandschaft wirft. Unter den Autoren ist freilich kein Museumsmitarbeiter und so gerät der Blick eher philosophisch-kulturwissenschaftlich, was das Verdienst, diese Thema in einem Sonderheft aufgegriffen zu haben, nicht schmälert.