Die offizielle Interpretation der Geschichte wird in Russland von der „Russischen Historischen Gesellschaft“ und der Militärhistorischen Gesellschaft dominiert. Beide Gremien werden bezeichnenderweise von führenden Politkern geleitet: Der Historischen Gesellschaft sitzt der Parlamentspräsident Sergej Naryškin vor, der zweiten Gesellschaft der Kulturminister Vladimir Medinskij. Zum bevorstehenden Jahrestag ließ dieser schon im letzten Jahr auf einer Konferenz im Museum für zeitgenössische Geschichte verlauten, wie die heute so bezeichnete „Große Rußländische Revolution“ zu bewerten sei.
Demnach handelt es sich um eines der wichtigsten Ereignisse des 20. Jh., das nicht nur Russland, sondern den Planeten [sic] verändert habe, dessen Tragik in der Spaltung der russischen Gesellschaft, der Einmischung ausländischer Staaten in die inneren Angelegenheiten Russlands und dem Verlust der imperialen Macht liege. Heute gehe es darum, dieses Erbe für die Gegenwart anzunehmen und sich damit auseinander zu setzen, wozu auch der Terror auf beiden Seiten der Bürgerkriegsparteien gehöre.
Während in der Sowjetunion die „Konterrevolution“ für die Entwicklung verantwortlich gemacht worden ist, hat die Forschung die Schuldigen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion bei den Bol’ševiki gesehen. In der heute möglichen „objektiven“ Betrachtung der Geschichte sehen die Historiker die Ursachen für die Ereignisse in der über die „rote“ und „weiße“ Bewegung hinaus weitaus komplexeren Entwicklung.
Die Neubewertung der Revolution und ihrer Folgen ist hochaktuell in Russland und wird kontrovers diskutiert. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass ehemals felsenfest von der sowjetischen Geschichtsinterpretation Überzeugte heute auf Lenin und die Genossen schimpfen, wie man es kaum für möglich gehalten hat. Sehen sie in ihm doch dem Hauptverantwortlichen für den Zerfall von Macht und Größe Russlands.
Der Präsident hat eine Kommission zur Vorbereitung des Jahrestages einberufen. Noch ist allerdings nichts zu finden auf den Websites der beiden Gesellschaften. Medinskij aber gibt die Linie vor: Ihm zufolge muss man alles von allen Seiten brachten, die Fakten objektiv bewerten. Wie auch immer man das aber auch tut, eins kommt immer dabei heraus: Die imperiale Größe Russlands. Aus den Wirren der Revolution und des Bürgerkriegs ist das Land letztlich 1945 als Sieger wie der „Phoenix aus der Asche“ auferstanden. Und nach 1991 hat es Niedergang und Verfall abermals überstanden – „Staaten mit einer Geschichte so langer, ununterbrochener Souveränität“ kann man an einer Hand abzählen, so Medinskij. Dem Jubiläum steht also nichts mehr im Wege.
*Das Zitat stammt von V. Medinskij.